In Spanien hatte sich im 18. Jahrhundert eine besondere Form von Passionsandachten, der sog. Tres Horas, herausgebildet, bei denen die „Sieben letzten Worte Jesu“ nicht nur gelesen und ausgelegt, sondern auch in Musik gefasst wurden, um den Gläubigen noch die Möglichkeit zur individuellen Kontemplation zu geben. Diese Vorgaben sollte auch Joseph Haydn erfüllen, der von dem andalusischen Adligen und Priester Padre Santamaria 1786 einen detailgenau formulierten Auftrag bekam, eine Andachtsmusik über den – lateinischen – Text der „Sieben Worte des Erlösers am Kreuz“ zu komponieren. Sie war für die Passionsexerzitien im Oratorium Santa Cueva bestimmt, einer „Höhlenkirche“ in Cádiz.
Haydn schrieb sieben „meditative“ Adagiosätze (Sonaten), mit einer Dauer von jeweils sieben bis acht Minuten, dazu eine „introduzione“ und ein „terremoto“ als dramatischem Schlusssatz. Zu seinem Kompositionskonzept äußerte er sich so: „Jedweder Text ist bloß durch die Instrumental Music dergestalten ausgedruckt, dass es dem unerfahrensten den tiefsten Eindruck in Seiner Seel erwecket …“
Dabei leitete Haydn die thematische Idee zu jeder „Sonate“ aus dem jeweiligen Erlöserwort ab – wahrscheinlich nach dem Text der tridentinischen Vulgata. So kann man heute noch beim Hören die lateinische Deklamation in der silbengetreuen Übertragung der Bibelverse in den Anfangsmotiven der Sätze mithören. Wie wichtig dem Komponisten der Text war, zeigt sich daran, dass die Schriftzitate auch der Quartett-Partitur „beygedruckt werden“ sollten.
Schon in der 1. Sonate „Pater, pater, dimitte illis“ (Vater, vergib ihnen) ist die „instrumentale Klangrede“ deutlich zu erkennen. Besonders eindrucksvoll ist sie in der 4. Sonate: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Haydn hat hier die lateinische Übertragung gewählt: „Deus meus, Deus meus, utquid dereliquisti me?“ Die 6. Sonate ist die schwermütigste und zugleich der Höhepunkt des Sonatenzyklus: „Consummatum est“ – Es ist vollbracht.“ Alle vier Instrumente beginnen im Unisono.
Jedenfalls sollten die Zuhörer den Eindruck gewinnen, dass die Worte Jesu am Kreuz „wahr und feierlich“ wiedergegeben sind. Die Passionsmusik wird so zur Verkündigung der christlichen Heilsbotschaft: Die „7 letzten Worte“ haben den Stellenwert eines Vermächtnisses, eines Testaments.
Beim Konzert in der Heilig Kreuzkirche wird die ursprüngliche Verbindung von Bibeltext und Musik, wie sie in Cádiz üblich war, beibehalten und in unsere Zeit übersetzt.
Herbert Gill, Wolfgang Holler (Violinen), Rainhard Lutter (Viola), Susanne Lohse (Violoncello) spielen Joseph Haydns „Andachtsmusik“ in der Fassung für Streichquartett. Dr. Alfons Hämmerl trägt eigene Betrachtungen zum Kern des Passionsgeschehens vor.